Sinn und Zweck der Einstellung des Strafverfahrens nach § 154 StPO im Strafrecht ist es, diejenigen Straftaten von der strafrechtlichen Verfolgung auszunehmen, die im Ergebnis bei der Bildung einer Gesamtstrafe nicht sonderlich schwer ins Gewicht fallen würden.
Die Einstellung des Strafverfahrens gem. § 154 StPO betrifft die gesamte prozessuale Tat, also den konkreten geschichtlichen Vorgang, der in räumlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht einen zusammenhängenden Lebenssachverhalt darstellt.
Wenn dem Angeklagten also zwei völlig verschiedene Sachverhalte strafbaren Verhaltens vorgeworfen werden, kommt die Anwendung des § 154 StPO in Betracht.
Der Täter ist am 20.06.2017 auf einem Volksfest in Braunschweig in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt, bei der er seinem Kontrahenten einen Faustschlag ins Gesicht verpasst, der keine weiteren gesundheitlichen Folgen außer einer Beule verursacht hat. Zuvor hat der Täter am 19.06.2017 unter Einsatz eines Messers einen Kiosk überfallen und hierbei Geld im Wert von 1.967,00 € erbeutet.
Die beiden Lebenssachverhalte stehen miteinander in keinem Zusammenhang und bilden jeweils eigenständige prozessuale Taten, die rein rechtlich separat zu beurteilen sind. Der Schlag auf dem Volksfest stellt eine einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB dar, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft wird. Die Tat am 19.06.2017 – der Überfall auf den Kiosk unter Einsatz eines Messers – stellt einen schweren Raub gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar und wird grundsätzlich mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft.
Unterstellt, der Täter ist nicht vorbestraft gewesen, würde er für die nicht sonderlich schwerwiegende einfache Körperverletzung eine Geldstrafe von etwa 30 Tagessätzen zu erwarten haben, die höchstwahrscheinlich auch im Wege des Strafbefehlverfahrens - also grundsätzlich ohne Hauptverhandlung - abgeurteilt werden könnte.
Beim schweren Raub beträgt die Mindeststrafe dagegen 5 Jahre Freiheitsstrafe. Der Rechtsfolgenvergleich zwischen den beiden prozessualen Taten ergibt, dass die Strafe, die der Täter wegen der Körperverletzung erwarten würde, gegenüber der Straferwartung des schweren Raubes nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Auf der Rechtsfolgenseite würde die Körperverletzung bei der Aburteilung beider Taten deshalb nahezu keine eigenständige Rolle spielen (sogenanntes Rechtsfolgenminus), so dass in diesem Fall das Verfahren wegen Körperverletzung gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt werden könnte.
Die Staatsanwaltschaft kann von der Einstellungsmöglichkeit bereits im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens – also vor Anklageerhebung - Gebrauch machen und benötigt hierzu im Gegensatz zur Einstellung nach § 153 StPO nicht die Zustimmung des zuständigen Gerichts.
Sollte die Staatsanwaltschaft bereits Anklage zum Gericht erhoben haben, ist das Strafgericht für die Einstellung zuständig, die sich in diesem Verfahrensstadium nach § 154 II StPO richtet. Allerdings ist in diesem Verfahrensabschnitt der Antrag der Staatsanwaltschaft notwendig.
Nein, der Zustimmung des Beschuldigten bedarf es bei der Einstellung nach § 154 I, II StPO nicht! Er ist durch die Einstellung nicht beschwert, d.h. sie ist für ihn nicht nachteilig, denn es werden hierdurch ja gerade einige Strafvorwürfe nicht weiter verfolgt.
Wenn die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren im Ermittlungsverfahren gem. § 154 I StPO einstellt, ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens jederzeit möglich. Durch eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft entsteht kein Vertrauenstatbestand dahingehend, dass die Einstellung des Strafverfahrens für alle Zeit feststeht.
Soweit das Gericht das Strafverfahren gem. § 154 II StPO einstellt, entsteht zunächst ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis. Die Ermittlungen können gem. § 154 V StPO über einen Gerichtsbeschluss wieder aufgenommen werden. Für die Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens läuft eine Frist von 3- Monaten gem. § 154 IV StPO und zwar gerechnet von dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Verfahrens an, wegen dessen die Einstellung erfolgte. Es handelt sich hierbei um eine Ausschlussfrist zugunsten des Angeklagten, nach Ablauf der Frist kann das Strafverfahren nur dann wieder aufgenommen werden, wenn sich herausstellt, dass das eingestellte Verfahren kein Vergehen, sondern ein Verbrechen zum Gegenstand hat.
Bei der Einstellung des Strafverfahrens gem. § 154a StPO besteht die Besonderheit darin, dass bei dieser Einstellungsvariante nur eine prozessuale Tat vorliegt und bei § 154 StPO mindestens 2 verschiedene prozessuale Taten.
§ 154a StPO kommt dann zur Anwendung, wenn der Beschuldigte innerhalb einer prozessualen Tat mehrere Straftaten begangen, also mehrere Strafgesetze verwirklicht hat.
Der Beschuldigte versucht dem Opfer ein Handy aus der Jackentasche zu ziehen, das Opfer bemerkt die Tat und dreht sich reflexartig um. Der Beschuldigte schlägt dem Opfer daraufhin mit einem Schlagring ins Gesicht.
Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um einen natürlichen Lebensvorgang, der eine prozessuale Tat darstellt. Innerhalb dieser prozessualen Tat hat der Beschuldigte zwei Straftaten begangen und zwar einen versuchten Diebstahl gem. § 242, 22, 23 StGB sowie eine gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB.
Auch bei der Anwendung von § 154a StPO ist es erforderlich, dass bei einem Rechtsfolgenvergleich die prognostizierte Strafe des versuchten Diebstahls im Gegensatz zu der gefährlichen Körperverletzung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt (sogenanntes Rechtsfolgenminus). Dies wäre vorliegend bei dem versuchten Diebstahl, der mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft wird, im Vergleich zur gefährlichen Körperverletzung, die mit Freiheitsstrafe nicht unter 6 Monaten bestraft wird, möglich.
Hier gilt das zu § 154 StPO Gesagte. Vor Erhebung der Anklage kann die Staatsanwaltschaft die Beschränkung der Rechtsverfolgung auf einzelne abtrennbare Teile einer prozessualen Tat anordnen. Das geschieht in der Form, dass die eingestellten Taten nicht in die Anklageschrift aufgenommen werden, wobei die Staatsanwaltschaft auf die Beschränkung hinzuweisen hat.
Nach Erhebung der Anklage kann das Gericht die Einstellung anordnen, allerdings auch hier nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft.
Die Wiedereinbeziehung der von der Strafverfolgung ausgenommenen Tatteile ist in jeder Lage des gerichtlichen Verfahrens möglich und erfolgt in der Regel durch förmlichen Beschluss des Gerichts. Ein Antrag oder die ausdrückliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft ist hierbei nicht notwendig.
Wie oben bereits angesprochen besteht in Deutschland nach Art. 103 III GG der Grundsatz, dass kein Angeklagter wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden kann. Diesen Grundsatz nennt man den sog. Strafklageverbrauch oder "ne bis in idem". Ist also der Angeklagte wegen derselben prozessualen Tat bereits verurteilt worden, so steht diese Verurteilung einer erneuten Strafverfolgung als von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis entgegen.
Da es sich bei der Anwendung des § 154a StPO um die Beschränkung der Strafverfolgung auf einzelne Teile derselben prozessualen Tat handelt, tritt hinsichtlich der von der Strafverfolgung ausgenommenen Teile der Tat Strafklageverbrauch ein, da der Angeklagte wegen der weiterverfolgten Straftaten verurteilt worden ist.
Franco Zauner | Rechtsanwalt
Arbeitsrecht | Strafrecht | Verkehrsrecht | Zivilrecht
www.ra-zauner.de
Kontaktformular
Tel.: 0531/45234
Pawelstrasse 5
38118 Braunschweig
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